LESEPROBEN

WURZELN DER HOFFNUNG

Leseprobe passend zur Saison, Thematik Weihnachten:

AUSSCHNITT KAPITEL NEUN

Alicia wischte die Erinnerung an dieses Erlebnis weg. Sie entschied, erst nach den Feiertagen wieder in die Zivilisation hinabzusteigen.

Doch nun galt es wieder einmal, den Fluss zu durchqueren. Sie tastete sich Schritt für Schritt voran durch das schlammig braune, reißende Wasser. Sie wusste, dass sie nicht hinfallen durfte. Dann würde ihr Weihnachtsmenü in den Fluten davonschwimmen.

Das Wasser schoss und wirbelte dahin und die Riemen des voll beladenen Rucksackes schnürten sie auf den Schultern ein. Sie war mehr als froh, als sie das andere Ufer endlich erreicht hatte. Bis zum Bauchnabel durchnässt, aber ohne Verluste kletterte sie auf allen Vieren an der Uferböschung hoch. Sie rappelte sich auf und lief über den steinigen Weg zwischen den beiden Flussarmen.

Der zweite Flussarm war nur ein Rinnsal. Er führte nur dann nennenswert viel Wasser, wenn es mehrere Tage lang viel geregnet hatte.

Das Schlimmste des Weges hatte sie überwunden. Nun brauchte sie nur noch den steil ansteigenden, aber verhältnismäßig gut begehbaren Weg, bis zum Haus hoch zu laufen. Aber sie spürte schon Ermüdungserscheinungen. Der Rücken schmerzte unter dem Gewicht des Rucksacks und die Kleidung klebte kalt und feucht an ihrer Haut.

Erleichtert atmete sie aus, als sie das erste Tor erreicht hatte, dessen Pylone sie selbst aus den Steinen, die überall herumlagen, errichtet hatte. Nachdem sie es passiert hatte, kam schon das zweite Tor in Sicht, auch ein Produkt eines Anfalls von überflüssiger Energie, den sie ab und zu hatte.

Dahinter schaute das Häuschen hervor. Es war immer noch dicht bewachsen mit Efeuranken, die nun in voller Blüte standen. Alicia liebte den süßen, fruchtigen und betörenden Duft, der von ihnen ausging und ebenso den Duft der Blüten der alten Mimosenbäume. Sie schloss die Augen und atmete diese Wohlgerüche zufrieden ein.

Was für ein zauberhafter Ort das hier doch ist. Selbst im Dunkeln und mit geschlossenen Augen finde ich hierher zurück. Welch berauschender, süßer Duft. – Ich werde mich informieren, wie man Parfum herstellt, und ein Parfum aus diesen Wohlgerüchen kreieren. Ich bin sicher, das würde sich gut absetzen.

Alicia wurde in ihren Gedankengängen unterbrochen, als Shakira und ihre sieben Kinder, die inzwischen schon um einiges größer waren als ihre Mutter, freudig bellend angelaufen kamen. Sie begrüßten ihr Frauchen wie immer etwas zu stürmisch.

Alissaya, die rotbraune, sanfte Stute, die Lucrezia ihr zum Reiten und zum Transportieren von Sachen zur Verfügung gestellt hatte, kam ebenfalls auf sie zu. Die rotfellige Pferdedame hatte jedoch seit der Flutkatastrophe Angst vor dem lauten Fluss. Sie weigerte sich, ihn zu überqueren. So musste Alicia ihr Gepäck alleine schleppen.

Alicia streckte ihr die Hand entgegen und schrie die Hunde an: »Zitti, zitti [Kinder, Kinder], nicht anspringen, bitte! Sonst falle ich mit dem schweren Zeug wie eine Schildkröte auf den Rücken und komme nicht mehr hoch. Und wer hilft mir dann – keiner. Nein, so möchte ich nicht enden, und schon gar nicht zu Weihnachten.«

Sie schwankte die letzten Schritte bis zur hohen Steintreppe. Dann kniete sie sich erschöpft nieder und befreite sich von ihrer schweren Last. Die schmalen Riemen des Rucksacks hatten tiefe Einschnitte auf ihren Schultern hinterlassen, die sie sich nun massierte.

Andromeda und Xandulian, Lanni und Savi, die Lieblingskatzen, kamen angesprungen und die Hunde rannten ihnen hinterher.

»Zitti, jagt mir die Katzen nicht!«, rief sie energisch. Denn ihre laute, energische Stimme war das Einzige, worauf diese Hundekinder reagierten. Die Mischlinge aus Jagdhund und Belgischem Schäferhund verhielten sich abwechselnd wie schwer erziehbare Jagdhunde und wachsame Schäferhunde. Aber Alicia liebte die Hunde alle. Deshalb hatte sie es auch noch nicht übers Herz gebracht, einen Einzigen von ihnen abzugeben.

Andromeda und Xandu, die Stammeltern der Katzenzucht, sprangen auf Alicias Schulter. Sie stand nun auf, um die Tür aufzuschließen. Dabei rief sie den Hunden zu: »Ihr bleibt noch draußen! Ich muss erst alles vorbereiten. Dann gibt es Bescherung.«

Sie schloss die Tür hinter sich und fütterte als Erstes alle Katzen, die aus den verschiedensten Ecken und Winkeln und über das geöffnete Kippfenster beim Klappern der Futternäpfe auftauchten.

Während sie fraßen, zündete Alicia Öllampen und Kerzen an und machte Feuer im Kamin. Schließlich schlüpfte sie in einen kuscheligen Jogginganzug. Darüber zog sie sich einen langen Wollpullover an. Jetzt fühlte sie sich wohler.

Sie setzte sich an den steinernen Kamin und wartete, dass das Feuer richtig zu brennen begann. Das Holz war etwas feucht und es dauerte ein Weilchen, bis sich die Flammen im Kamin ausbreiteten.

Alicia wärmte sich ein wenig die Hände. Dann stand sie auf und ging mit der Taschenlampe wieder hinaus. Sie führte Alissaya in den Stall, gab ihr Futter und Wasser, legte ihr eine Decke auf den Rücken und unterhielt sich noch ein bisschen mit ihr. Sie fütterte auch ihr anderes Getier und rief schließlich den Hunden zu: »Veni, veni, zittilli [kommt, kommt, Kinder], jetzt gibt’s Bescherung!« Woraufhin die Hunde schneller im Haus waren als ihr Frauchen.

Alicia machte fünf Dosen ihres Lieblingsfutters auf. Diese stürzten sich auf ihre Näpfe, als hätten sie noch nie in ihrem Leben etwas zu fressen bekommen und schmatzten um die Wette.

Wie immer nach der Mahlzeit rülpste die cremefarbene Kira von Herzen. Die Tiere legten sich zufrieden auf ihre Decken, um ein Verdauungsschläfchen zu halten.

Alicia begann nun, ihr eigenes Festtagsmenü zuzubereiten. Sie setzte sich vor das Holzfeuer und schnipselte frisches Gemüse in den Wok, den sie auf den metallenen Dreifuß über die Glut gestellt hatte. Ein leckeres Currylammragout auf Wildkornreis sollte es zur Feier des Tages geben.

Sie hängte einen großen, schwarzen Kessel, angefüllt mit Wasser an einen Haken über das Feuer, um den Reis darin zu garen. Zwischendurch musste sie immer wieder das Feuer schüren, damit es nicht ausging.

Während sie das Fleisch schnitt, stellte sie fest, dass sie viel zu viel davon gekauft hatte. Aber die Hunde und auch die Katzen fraßen sowieso immer mit.

»Und der Rest ist für morgen«, dachte sie laut und warf das Fleisch in den Topf. Sie schüttete Gewürze hinein und deckte den Topf zu, um das Ragout über der roten Glut schmurgeln zu lassen.

Sie ging um den niedrigen Marmortisch herum, setzte sich ermüdet auf das Sofa und stellte das Radio an. Weihnachtslieder schallten ihr entgegen, die von Werbeeinschaltungen der großen Supermärkte mit den allerletzten Einkaufsempfehlungen für das große Fest unterbrochen wurden.

Die korsische Version von ›Oh du Fröhliche‹ ertönte und plötzlich flossen Alicia Tränen über das Gesicht. Sie wischte sie verärgert weg und sagte laut: »Ich werde jetzt nicht sentimental werden!«

Sensibel zu sein in dieser Welt, das ist schon schlimm genug, das reicht. Und trotzdem, Weihnachten zusammen mit meiner Familie damals, ich, Papa, Mama, Chrissi, Oma und mein Xandulian. Diese Weihnachten waren wirklich schön. Ich war noch glücklich, obwohl ich damals nicht wusste, was Glück ist, denn ich hatte noch nicht das Gegenteil von Glück kennengelernt.

Zu schnell erfuhr ich es dann. Seitdem habe ich auch nicht mehr Weihnachten feiern können. Und ich habe auch jetzt keinen Grund zu feiern.

Von Saveriu habe ich keine Neuigkeiten mehr und mein Freiheitskämpfer hat sich für immer von mir verabschiedet. Wahrscheinlich hat er sogar die Insel verlassen.

»Jetzt lebe ich nur noch für Euch, meine lieben Kinderchen.« Sie seufzte laut und nahm eines der jüngsten Kätzchen auf den Arm. Sie wusste, dass sie sich bald von dem letzten Wurf trennen musste, um ihr und ihren anderen Tieren ein angenehmes Leben zu sichern. Mit diesen Gedanken stand sie auf, um die Vorspeise zuzubereiten.

Sie schälte eine Avocado, zerdrückte das weiche Fruchtfleisch und mischte drei fein gepresste Knoblauchzehen darunter. Sie fügte noch Salz, Pfeffer und ein wenig Paprika hinzu. Dann deckte sie das Mus mit einer Folie ab, um es durchziehen zu lassen.

Nun schnitt sie einen Salatkopf in eine Schüssel und rührte etwas Olivenöl aus der Balagne und roten Weinessig zu einem Dressing an. Sie halbierte noch eine Zitrone und ließ den Saft über den Salat tröpfeln.

Dann schaute sie nach dem Ragout, rührte noch einmal um und gab süße Sahne, Curry, Rosinen und feingehackte Mandeln hinzu. Der Reis war inzwischen aufgequollen, aber sie ließ beides zugedeckt nahe am Feuer stehen.

Alicia stellte ihre Sonntagsteller auf den Tisch, goss sich ein Glas Rotwein ein und wollte sich gerade setzen, als sie eine Stimme hörte, die ihr so vertraut war, dass es ihr vor Schreck eiskalt den Rücken hinunterrieselte.

»Meine kleine Haselmaus, für uns hast du nicht gedeckt?« Alicia fasste sich an die Stirn und schüttelte den Kopf.

»Warum denn nicht?«, hörte sie die Stimme fragen.

Ungläubig schaute sie zur Tür und rief, die Augen weit aufgerissen:

...

WEITER GEHT ES IM ROMAN

ANBEI DER TRAILER, DER DIESEN AUSSCHNITT ALS EIGENSTÄNDIGE GESCHICHTE MIT DEM TITEL NOTTE SANTA BESCHREIBT

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